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Über den Wolken

Zwei Nachträge zu Catch Me If You Can

  • justinvollmann
  • 30. Mai 2022
  • 2 Min. Lesezeit

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Catch Me If You Can: Der Titel lässt sich nicht zuletzt als eine Aufforderung des Regisseurs an seine Zuschauer verstehen. Also habe ich ein bisschen Detektiv gespielt. Mein erster Nachtrag:


Ziemlich zu Beginn von Catch Me If You Can lässt Steven Spielberg den Zuschauer daran teilhaben, wie Frank Abagnale seinen ersten gefälschten Scheck in eine Bibel legt, um ihn zu pressen. Vergrößert man den Bildausschnitt, dann erkennt man rasch, um welche Bibelstelle es sich handelt. Um das Ende einer längeren Passage nämlich, die von der Flucht des späteren Königs David vor seinem Schwiegervater, dem noch herrschenden König Saul, berichtet (1. Buch Samuel, Kapitel 27). „Saul ends the pursuit of David“, ist dort als Überschrift zu lesen, und das ironischerweise zu einem Zeitpunkt, an dem die Verfolgung des Scheckbetrügers Frank Abagnale durch den FBI-Agenten Carl Hanratty noch nicht einmal begonnen hat.


Jugendlicher Held auf der Flucht vor väterlichem Verfolger: Man muss diese Parallele nicht überbewerten, doch bloßer Zufall ist sie sicher nicht. Das so genannte Bibelstechen – also das zufällige Aufschlagen der Bibel zum Zweck des Rats und der Vorausdeutung – scheint selbst dann zu funktionieren, wenn man die Bibel lediglich aufschlägt, um einen gefälschten Scheck hineinzulegen. „Hanratty ends the pursuit of Abagnale“, lautet also die Prophezeiung, die im Raum steht, und sie wird sich spätestens dann erfüllen, wenn der FBI-Agent den ehemaligen Scheckbetrüger als Experten für das FBI gewinnt.


Catch Me If You Can: Als intertextueller Strippenzieher könnte das auch der Stricker seinen Interpreten zurufen. Auf der Figurenebene dagegen: keine Spur von einem Carl Hanratty! Mein zweiter Nachtrag:


Kaum einer der Betrogenen scheint dem Pfaffen Amis jemals ernsthaft böse zu sein. Dass er in der Episode mit den unsichtbaren Bildern die gesamte Hofgesellschaft, allen voran den König, vorführt – kein Problem: „Der Pfaffe ist ein schlauer Mann, dass er so Kohle machen kann!“, lautet das allgemeine Urteil. Dass er in der sich anschließenden Episode nicht nur die Kranken, sondern auch den Herzog zum Narren hält – egal: „Der Pfaffe, sprachen alle gleich, sei superklug und listenreich“. Auch der betrogene und malträtierte Maurer beklagt sich weniger über das ihm entgangene Bistum als über seinen schmerzenden Rücken – und hat die Lacher auf seiner Seite.


Und selbst dann, wenn die Betrogenen dem Pfaffen böse sind, hat das für diesen keine negativen Konsequenzen. So ist der betrogene Tuchhändler zwar zornig, kommt aber ebenso wenig wie der um Geld, Gesundheit und Ehre gebrachte Edelsteinhändler auf die Idee, den Pfaffen zu verfolgen. Der Einzige, der jemals die Verfolgung des Pfaffen aufnimmt, ist jener Ritter, dessen Frau dem vermeintlich heiligen Mann das kostbare Tuch (Symbol ihrer Jungfräulichkeit?) mit auf den Weg gegeben hat – eine eher zweifelhafte Verfolgungsaktion, die der Ritter jedenfalls schon bald bereut.


Catch Me If You Can: Das scheint im Mittelalter keine wirkliche Option gewesen zu sein, zumindest nicht bei einem Trickster, zumindest nicht beim Pfaffen Amis. Warum das so ist – ob es erzähltechnische, logistische oder kulturelle Gründe hat –, wäre Gegenstand einer eigenen Untersuchung.

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