Der Pfaffe Amis und Johnny Hooker
- justinvollmann
- 26. Juni 2022
- 4 Min. Lesezeit

Die Gaunerkomödie The Sting (deutsch Der Clou) aus dem Jahr 1973 soll hier Anlass zu vier Überlegungen bieten, die ich abschließend noch einmal auf den Pfaffen Amis und das Mittelalter rückbeziehen will. Es geht dabei um Selbstreflexivität, um die Unterscheidung zwischen planendem und ausführendem Trickstertum, um Aporien des Trickstertums und um Spielsucht. Ich beginne mit einer sehr verkürzten Wiedergabe des vertrackten Plots.
Der kleine Trickbetrüger Johnny Hooker tut sich mit dem erfahrenen Betrüger Henry Gondorff zusammen, um den Tod eines gemeinsamen Freundes an dem Bösewicht Doyle Lonnegan zu rächen. Mit Hilfe eines komplizierten Spiels im Spiel erwischen die beiden den Bösewicht dort, wo es ihn am meisten schmerzt: bei seinem Geld, um das sie ihn im großen Stil erleichtern. Im Gegensatz zu Lonnegan, der das Spiel im Spiel bis zum Ende nicht durchschaut, ist der Zuschauer von Anfang an in alles eingeweiht.
Nicht eingeweiht ist der Zuschauer dagegen in ein zweites Spiel im Spiel, das dem korrupten Polizisten William Snyder vorgespielt wird, um ihn von der Verfolgung Johnny Hookers abzuhalten. Dieses zweite Spiel im Spiel endet damit, dass der angeblich mit dem FBI paktierende Johnny von Henry und dieser wiederum von einem angeblichen FBI-Mann erschossen wird – alles nur zum Schein, wie der übertölpelte Zuschauer zu seiner Erleichterung feststellt, sobald Snyder und Lonnegan den Raum verlassen haben.
1. Selbstreflexivität: Doppeltes Spiel im Spiel
Was diese Schlussequenz besonders deutlich macht, ist der selbstreflexive Charakter der Spiel-im-Spiel-Struktur. In einem ersten Schritt bemerken wir, dass wir dem Trick mit dem Kunstblut ebenso aufgesessen sind wie Snyder und Lonnegan – um dann in einem zweiten Schritt zu reflektieren, dass ja der gesamte Film sozusagen aus Kunstblut besteht, sprich Kunst, sprich Spiel, sprich eben ein Spielfilm ist (was wir, zugegeben, auch vorher schon wussten, im Sinne einer willing suspension of disbelief aber ausgeblendet hatten).
Weniger auf rezeptions- als auf poduktionsästhetischer Ebene entfaltet dagegen das erste der referierten Spiele sein selbstreflexives Potenzial. Erinnern doch die Schritte, die schließlich zur Überlistung Lonnegans führen – von der bloßen Rache-Idee über das Verfertigen eines drehbuchreifen Plans, das Anmieten von Räumlichkeiten, die szenische Ausstattung, das Casting der Darsteller, Kostüm und Maske bis hin zum eigentlichen „Take“ – fast überdeutlich an die Schritte einer Spielfilmproduktion.
2. Planendes und ausführendes Trickstertum: Autor, Regisseur, Schauspieler
„I teach you stuff maybe five guys in this world know, stuff most grifters couldn’t do even if they knew it“, sagt Henry Gondorff an einer Stelle des Films zu Johnny Hooker. Um Tricks geht es also, die so exklusiv sind, dass erstens nur sehr wenige Gauner Kenntnis davon haben und dass zweitens die meisten Gauner, selbst wenn sie Kenntnis davon hätten, an ihrer Ausführung scheitern würden. Was mich hier interessiert, ist die Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem, zwischen planendem und ausführendem Trickstertum.
Um in der oben entwickelten Analogie zu bleiben: Das planende Trickstertum, das wäre zunächst einmal Sache des Drehbuchautors, das ausführende Trickstertum dagegen wäre Sache der Schauspieler. Es ließe sich demnach zwischen einem listenreich planenden Autor-Trickster und einem gestaltwandlerisch agierenden Schauspieler-Trickster unterscheiden. Beide können, müssen aber nicht in Personalunion auftreten. Irgendwo dazwischen stünde der zwischen Planung und Umsetzung vermittelnde Regisseur.
3. Die Trickster-Aporie
Lonnegan weiß bis zum Ende nicht, dass er betrogen worden ist. Er darf es auch nicht wissen, weil die Betrüger das nicht lange überleben würden. D.h. die Rache besteht ausschließlich im finanziellen Schaden, der Lonnegan zugefügt worden ist, nicht aber in der potentiell demütigenden Erkenntnis, dass man ihn betrogen hat. Aber wie befriedigend ist eine Rache, die als solche ebenso unerkannt bleiben muss wie die Identität des Rächers selbst? Wird der Betrüger dadurch nicht um seinen eigentlichen Triumph betrogen?
Ich möchte das als die Trickster-Aporie bezeichnen: Je besser der Trickster, desto mehr bringt er sich selber zum Verschwinden. Hier stößt dann auch die Film-Analogie an ihre Grenzen, denn im Gegensatz zu Lonnegan weiß der Zuschauer ja grundsätzlich um den Spielcharakter dessen, was er sieht. Und selbst dann, wenn es dem Autor, dem Regisseur, den Schauspielern, der gesamten Trickster-Crew gelingen sollte, ihn diesen Spielcharakter punktuell vergessen zu machen, wird er sie doch gerade dafür umso mehr bewundern.
4. Spielsucht
„He doesn‘t drink, he doesn’t smoke, he doesn’t chase dames“, heißt es über Doyle Lonnegan, und wohlgemerkt: „he never plays anything he can’t win“. Ganz anders dagegen Johnny Hooker, der in Begleitung einer Stripteasetänzerin 3000 Dollar verspielt, sich gern mal einen Drink mit seinem dauerrauchenden Kumpel Henry Gondorff genehmigt, arglos ins Bett der auf ihn angesetzten Killerin Loretta Salino steigt und am Ende weise auf seinen Anteil der Beute verzichtet, da er diesen eh nur wieder verspielen würde.
Man gewinnt den Eindruck, dass hier zwei Typen des Spielers einander gegnübergestellt werden: auf der einen Seite der in ökonomischen Kategorien denkende, gewinnorientierte Bankier und Mafiaboss Doyle Lonnegan, der nichts dem Zufall überlässt; auf der anderen Seite der in anökonomischen Kategorien der Verschwendung und der Selbstverausgabung denkende, genussorientierte Ganove Johnny Hooker, dem es mit Hilfe seines Mentors Henry Gondorff gelingt, Doyle Lonnegan mit dessen eigenen Mitteln zu schlagen.
5. Und der Pfaffe Amis?
Ad 1 u. 2: Der selbstreflexive Charakter des Pfaffen Amis liegt auf der Hand. In der Regel vereinigt der Held hierbei in sich die Rollen des Autor-Tricksters und des Schauspieler-Tricksters. Zu überlegen wäre, inwieweit der mittelalterliche Rezitator, der einerseits im Namen des Autors spricht, andererseits aber auch durch Stimmlage, Mimik und Gestik in die Rollen der Figuren schlüpfen kann, der Doppelfunktion des planenden und des ausführenden Tricksters in besonderer Weise gerecht wird.
Ad 3: Die Trickster-Aporie scheint zumindest in der höfischen Literatur kaum eine Rolle zu spielen. Vielmehr wird hier, wie Kragl 2015 notiert, „mit List, Betrug, Verstellung verfahren, als handle es sich um akzepierte Verhaltensnormen“, wobei auch die Opfer an der allgemeinen Akzeptanz des Listverhaltens partizipierten. Dies bestätigt ein Blick auf den Pfaffen Amis, in dem die aufgedeckten Listen wo nicht Gegenstand allgemeiner Bewunderung, so doch zumindest auch nicht Anlass nachhaltiger Verfolgung seitens der Geschädigten sind.
Ad 4: Eine Verkoppelung ökonomischer und anökonomischer Logiken konstatiert Strohschneider 2007 auch schon für den Pfaffen Amis: Das ökonomisch orientierte List-Handeln stelle hier gewissermaßen die Hinterbühne für die aristokratische Freigebigkeit des Pfaffen dar, die ihrerseits einer anökonomischen Logik der Verausgabung gehorche. Dieser Hinterbühne entspräche in The Sting die Spielsucht des Helden, die letztlich gar zum freiwilligen Verzicht auf den eigenen Anteil an der erwirtschafteten Beute führt.
Literatur:
Kragl, Florian: Betrogen? Eindruckslose Listen und gleichmütige Verlierer in „Flore und Blanscheflur“ und anderswo, in: Verstellung und Betrug im Mittelalter und in der mittelalterlichen Literatur, hg. v. Matthias Meyer u. Alexander Sager, Göttingen 2015, S. 113-141, hier S. 138.
Strohschneider, Peter: Kippfiguren. Erzählmuster des Schwankromans und ökonomische Kulturmuster in Strickers "Amis", in: Text und Kontext, hg. v. Jan-Dirk Müller, München 2007, S. 163-190, hier S. 185.


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