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Über den Wolken

Technik | Magie | Kunst: Christopher Nolans „The Prestige“

  • justinvollmann
  • 24. Aug. 2022
  • 3 Min. Lesezeit

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Die Älteren unter uns werden sich noch an die Band AC/DC erinnern. Was weniger bekannt ist: Der Name der Band, deren erstes Album den Titel „High Voltage“ (Hochspannung) trug, setzt sich aus den Abkürzungen für „Alternate Current“ (Wechselstrom) und „Direct Current“ (Gleichstrom) zusammen. Beide – Gleichstrom und Wechselstrom – spielen eine gewisse Rolle in Christopher Nolans Film „The Prestige“ (2006), um den es hier gehen soll.


Um vorab den Bezug zum Mittelalter herzustellen: Wenn sich der Pfaffe Amis bei seinem Betrug mit den unsichtbaren Bildern derselben Technik bedient, derer sich auch die höfischen Romanciers so gern bedienen, nämlich der Technik der Ekphrasis, dann wird diese Technik für den Rezipienten als eine Art Zaubertrick durchschaubar gemacht. Eine ganz ähnliche Konstellation von Technik, Zauberei und Kunst begegnet in „Prestige“, nur dass der Trickster hier von vornherein nicht etwa als Betrüger, sondern als Illusionskünstler auftritt.


Der Unterschied lässt sich an einer weiteren Episode verdeutlichen. Wenn der betrügerische Pfaffe zum Abendessen einen Hahn verschlingt und ihn vor Morgengrauen umbemerkt durch einen anderen ersetzt, dann spekuliert er auf die Leichtgläubigkeit seiner naiven Gastgeberin, die das vermeintliche Wunder mir hohen Ablasszahlungen quittiert. Wenn dagegen der Illusionskünstler dem Publikum einen Vogel präsentiert, diesen zum Verschwinden bringt und ihn am Ende wieder hervorzaubert, dann applaudiert das Publikum, obwohl oder gerade weil es weiß, dass es so kunstvoll hinters Licht geführt worden ist. Damit nun aber endgültig zu „Prestige“.


Den historischen Hintergrund des Films bildet der so genannte Stromkrieg, in dem sich die Erfinder Thomas Edison als Vertreter des Gleichstroms und Nikola Tesla als Vertreter des Wechselstroms um 1890 unversöhnlich gegenüberstanden. Gespiegelt findet sich diese Konstellation in den fiktiven Hauptakteuren des Films, den Magiern Alfred Borden und Robert Angier, die um die optimale Realisierung eines Teleportationstricks wetteifern.


Beide Magier bedienen sich hierzu eines Doubles: Borden seines eineiigen Zwillingsbruders Bernard Fallon, mit dem er regelmäßig die Rollen tauscht (sehr zur Irritation der involvierten Frauen); Angier eines Klons, der (oder Angier selbst?) im Lauf einer jeden Vorführung heimlich dem Tod überantwortet wird. Den Unterschied zwischen beiden Methoden möchte ich im Folgenden mit dem Unterschied zwischen Gleichstrom und Wechselstrom zusammendenken. Dies scheint mir umso naheliegender, als Angiers Klon-Maschine ausdrücklich als eine Erfindung Teslas (gespielt von David Bowie) eingeführt wird.


Beim Gleichstrom haben wir einen feststehenden Pluspol und einen feststehenden Minuspol, zwischen denen der Strom kontinuierlich fließt (vgl. auch die franz. Bezeichnung „courrant continu“). Dies würde der kontinuierlichen Übergabe der Rollen zwischen den beiden Zwillingsbrüdern Borden und Fallon entsprechen, deren jeweilige „Polung“ (Borden liebt Sarah, Fallon liebt Olivia) trotz allem gleichbleibt.


Beim Wechselstrom dagegen wechseln die Pole periodisch ihre Polarität. Wir können nicht mehr durchgängig unterscheiden, was Pluspol und was Minuspol, was Angier und was sein Klon ist. Es gibt nur noch zwei Zustände Plus und Minus, deren Wechsel jeweils auch einen Wechsel der Fließrichtung des Stroms bewirkt – eine Diskontinuität, die der Film in die Diskontinuität von Leben und Tod übersetzt (deren Überlagerung wiederum über das Motiv von Schrödingers Katze eingespielt wird, vgl. dazu hier).


Im Gleichstrom-Modell (Borden und Fallon) wird also lediglich Identität, im Wechselstrom-Modell (Angier und sein Klon) dagegen tatsächlich Leben geopfert. Daraus ergeben sich zwei unterschiedliche „Ästhetiken des Opfers“, die ich abschließend auf Theater und Film beziehen möchte. Eine gewisse Plausibilität kann dieser Vergleich vielleicht schon vorab daraus beziehen, dass sich der Wechselstrom gegenüber dem Gleichstrom durch eine erhöhte Transportabilität auszeichnet – ähnlich wie der Film gegenüber dem Theater.


Im Gleichstrom-Modell des Theaters opfert der Schauspieler lediglich seine personale Identität, um in der Rolle eines Anderen gleichwohl leibhaftig vor sein Publikum zu treten. Im Wechselstrom-Modell des Films dagegen opfert er darüber hinaus auch seine leibliche Präsenz, um als eine Art körperloser Geist auf der Kinoleinwand zu erscheinen: Verlust der Aura des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Walter Benjamin).


AC/DC sind dafür gepriesen worden, mit drei Akkorden mehr erreicht zu haben als jeder andere Mensch. Die drei Akkorde von „Prestige“ lauten Technik (Gleichstrom/Wechselstrom), Magie (Borden/Angier) und Kunst (Theater/Film). Seine Spannung – um nicht zu sagen: Hochspannung – generiert der Film aus den zahlreichen Äquivalenzbeziehungen, die sich zwischen diesen drei Bereichen auftun. Ihnen ein wenig nachzugehen, war das Ziel dieses Beitrags.

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