Forrest Gump und Thomas von Aquin
- justinvollmann
- 1. Apr. 2022
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Apr. 2022

„Tump ist, der tumbez tuot“. Könnte aus Wolframs Parzival stammen, ist aber nur die Übersetzung des berühmten Spruchs aus Forrest Gump: „Stupid is as stupid does“. Und wie Parzival vergisst auch Forrest Gump nie zu erwähnen, wer ihm das gesagt hat: seine Mutter nämlich. Obwohl die Parallelen damit bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind, soll es hier nicht etwa um einen Vergleich zwischen Parzival und Forrest Gump gehen, sondern um die Frage nach der Tugendhaftigkeit des Filmhelden, der ich mich über die Summa Theologiae des Thomas von Aquin annähere. Ich skizziere zunächst die betreffende Tugendlehre und komme dann auf Forrest Gump zurück.
Thomas unterscheidet zwischen einem auf das Wahre gerichteten Erkenntnisvermögen und einem auf das Gute gerichteten Strebevermögen, die jeweils sowohl den sensitiven als auch den intellektiven Seelenteil umfassen (vgl. den Eintrag zu Blade Runner). Entsprechend unterscheidet er weiter zwischen intellektuellen, d. h. im Erkenntnisvermögen (und zwar speziell im intellektiven Erkenntnisvermögen) angesiedelten Tugenden einerseits und moralischen, d. h. im Strebevermögen (und zwar im intellektiven wie auch im sensitiven Strebevermögen, also im Willen wie auch im Bereich der Emotionen) angesiedelten Tugenden andererseits.
Die intellektuellen Tugenden gliedern sich in eine theoretische Vernunft (Weisheit, Wissen, Ars) und eine praktische Vernunft, die Klugheit (Grundvoraussetzung beider ist das Verstehen). Was die moralischen Tugenden angeht, folgt Thomas der üblichen Einteilung in drei theologische Tugenden (Glaube, Hoffnung, Liebe) und vier Kardinaltugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Stärke, Mäßigkeit). Deutlich zeigt sich schon hier die Sonderstellung der Klugheit, die doppelt vorkommt. Als intellektuelle Tugend ist sie zwar auf das Wahre, als moralische Tugend aber gleichzeitig auch auf das Gute gerichtet. Als praktische Vernunft ist sie sozusagen weniger intellektuell als Weisheit, Wissen und Ars.
Ausdrücklich stellt Thomas nun die Frage – und damit nähere ich mich wieder Forrest Gump –, ob moralische Tugendhaftigkeit auch ohne intellektuelle Tugendhaftigkeit zu haben ist (natürlich immer bezogen auf die daraus resultierenden Handlungen). Antwort: Zur moralischen Tugendhaftigkeit bedarf es weder der Weisheit noch des Wissens noch der Ars, sondern lediglich der Klugheit, die dem moralischen Streben nach dem Guten mit praktischem Rat zur Seite steht. Zum Beispiel: Um seinem Vorgesetzten das Leben zu retten (moralischer Impuls), muss Forrest Gump sich über dessen Befehl hinwegsetzen und ihn aus dem Wald hinaustragen (praktische Vernunft).
Und als guter Systematiker schickt Thomas gleich die Frage hinterher, ob denn umgekehrt intellektuelle Tugendhaftigkeit auch ohne moralische Tugendhaftigkeit denkbar sei. Antwort: Lediglich die praktische Vernunft bedarf der Zielvorgabe durch die Moral. Die theoretische Vernunft dagegen geht nicht notwendigerweise mit moralischer Tugendhaftigkeit einher. Und auch das zeigt sich in Forrest Gump, wenn etwa der Präsident der „Students for a Democratic Society“ in Berkeley als unkontrollierter Wüstling dargestellt wird, der seine Freundin schlägt (wie überhaupt die studentisch geprägte Gegenkultur in diesem Film auffällig schlecht wegkommt).
„Dumm ist der, der Dummes tut“. Bedeutet im Umkehrschluss: Wenn jemand nichts Dummes tut, dann kann er so dumm nicht sein. Oder mit Thomas von Aquin: Der Mangel an intellektuellen Tugenden bedeutet noch lange keinen Mangel an moralischen Tugenden (siehe Forrest Gump). So wie umgekehrt das Vorhandensein intellektueller Tugenden noch lange nicht auf das Vorhandensein moralischer Tugenden schließen lässt (siehe studentische Gegenkultur). Was ich in Forrest Gump ein bisschen vermisst habe, ist eine positive Gegenfigur à la Gawan, die beides – intellektuelle und moralische Tugenden – miteinander vereint. So wie Forrest Gump Junior, aber da ist die Geschichte dann auch schon aus.


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