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Über den Wolken

Der Pfaffe Amis und Ocean’s Eleven

  • justinvollmann
  • 16. Apr. 2022
  • 2 Min. Lesezeit

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Was hat der 2001 herausgekommene Film Ocean’s Eleven von Steven Soderbergh mit dem ersten deutschen Schwankroman, dem in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandenen Pfaffen Amis des Strickers gemeinsam? Zumindest dies: die schillernde Figur des Trickster-Helden, um die es in diesem Beitrag gehen soll. Am Pfaffen Amis will ich zunächst drei Lesarten – eine gesellschaftsbezogene, eine figurenbezogene und eine poetologische – skizzieren, die ich anschließend auf Ocean’s Eleven übertrage. In allen drei Lesarten kann der Trickster-Held prinzipiell als Sympath oder als Unsympath in Erscheinung treten – oder sich auch zwischen beiden Polen hin- und herbewegen. Maßgeblich dürften hierbei Fragen sein wie die folgenden: Handelt der Trickster aus niederen oder aus edlen Motiven? Sind seine Opfer sympathisch oder unsympathisch? Wie groß ist der Schaden, den er ihnen zufügt?


Zunächst zum Pfaffen Amis:


Man könnte den Pfaffen Amis erstens als Kirchen- bzw. Religionskritik lesen. Der Protagonist bewegt sich dann zwischen den Polen des sympathischen „Aufklärers“, der der Gesellschaft den Spiegel vorhält, und des unsympathischen Negativexempels, in dem die schlechten Seiten der Kirche bzw. der Religion ihre Verkörperung finden. Zweitens könnte man den Pfaffen Amis aber auch als eine Fallstudie zum Thema List lesen, wobei sich der Protagonist zwischen den Polen des bewundernswerten Tricksters und des verabscheuenswürdigen Verbrechers bewegen würde. Diese zweite Lesart eröffnet dann auch die Möglichkeit einer dritten, poetologischen Lesart, in der der Protagonist als Spiegelfigur des – geliebten oder ungeliebten – Autors (und sein jeweiliges Opfer als Spiegelfigur des Rezipienten) erscheint.


Übertragung auf Ocean’s Eleven:


Lesart 1: Ocean’s Eleven als Kapitalismuskritik. Danny Ocean als sympathischer „Aufklärer“, der Terry Benedict entlarvt, indem er ihn vor die Wahl zwischen Geld und Frau stellt. Man könnte zunächst auch Danny Ocean, der gleich nach dem Gefängnis seinen nächsten Coup plant, für die verkörperte Geldgier halten, aber wie sich früh genug herausstellt, geht es ihm ja um die Liebe – ähnlich, könnte man vielleicht sagen, wie es dem Pfaffen Amis um das Wohlergehen seiner Gäste bzw. später dann des Klosters geht.


Lesart 2: Was Danny Ocean auf jeden Fall ist, ist ein bewundernswerter Trickster. Natürlich ist er auch ein Verbrecher, aber vor einer moralischen Verurteilung bewahrt ihn allein schon die Tatsache, dass sein Opfer Terry Benedict ein denkbar großer Unsympath ist. Ein bisschen hat Benedict hier die Funktion des Bischofs aus dem Pfaffen Amis inne, wenngleich sich Amis dann in eine sehr viel bedenklichere Richtung entwickelt als Danny Ocean.


Lesart 3: Spätestens wenn Danny Ocean seinen Gegner Terry Benedict mit Hilfe eines Films überlistet, den er mit seinem Team in einem eigens angefertigten Nachbau von Terrys Tresorraums gedreht hat, wird das selbstreflexive Potenzial der Story deutlich: Danny Ocean als Regisseur und Terry Benedict als Zuschauer, dem der Regisseur mit Hilfe seines Films nicht nur das Geld aus der Tasche zieht, sondern womöglich auch die Frau ausspannt (immerhin heißt der Hauptdarsteller des echten Films George Clooney!).


Übrigens: Täusche ich mich, oder hat der Trickster-Held oft auch eine gewisse Affinität zu Jesus? Der Pfaffe Amis zumindest täuscht gern Wundertaten vor, die sehr an diejenigen des Gottessohns erinnern. Und auch wenn Danny Ocean zunächst nur zehn Getreue um sich schart – zwei Fortsetzungen weiter sind wir dann schon bei Ocean’s Thirteen (2007), und diese können es rein zahlenmäßig mit Jesus und seinen Jüngern durchaus aufnehmen.

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