Der Pfaffe Amis und Jack Sparrow
- justinvollmann
- 13. Mai 2022
- 3 Min. Lesezeit

„Ich glaube, er sagt die Wahrheit. – Wenn er die Wahrheit gesagt hätte, hätte er sie nicht gesagt. – Oder er wüsste, dass ihr ihm die Wahrheit nicht glauben würdet, selbst wenn er sie sagen würde“: Willkommen in „Fluch der Karibik“, in der verwirrenden Welt des Jack Sparrow, der unter den prominenten Nachfolgern des Pfaffen Amis ganz bestimmt nicht fehlen darf!
Jack Sparrow verfolgt seine eigene Agenda: Als ehemaliger Piratenkapitän will er seinen Gegner Hector Barbossa, der sich durch eine Meuterei zum neuen Kapitän aufgeschwungen hat, erschießen. Dazu wiederum muss zunächst ein Fluch gelöst werden, der Barbossa und seine Mannschaft zu Untoten – und damit eben auch Untötbaren – macht.
Ein Stück weit deckt sich die Agenda Jack Sparrows deswegen mit derjenigen Barbossas selbst, der ebenfalls darauf bedacht ist, sich und seine Mannschaft durch die Rückgabe eines goldenen Medaillons sowie den Blutzoll seines Besitzers, eines jungen Waffenschmieds namens Will Turner, vom Fluch zu befreien.
Doch auch Will Turner hat seine Agenda: Ständische Grenzen missachtend, will er die Tochter des örtlichen Kommandeurs, Elizabeth Swann, zur Frau gewinnen. Als Elizabeth, die ihm ebenfalls sehr zugetan ist, von Barbossa entführt wird, verbündet sich Will mit Jack Sparrow, um Elizabeth zu befreien.
Es gibt also eine Rache-, eine Erlösungs- und eine Liebesgeschichte, und in jeder hat Jack Sparrow eine andere Rolle inne. In der Rachegeschichte ist er der Held, in der Erlösungsgeschichte der zeitweilige Verbündete Barbossas (freilich nur, um diesen dann töten zu können) und in der Liebesgeschichte der Mentor Will Turners.
Schon dieses Lavieren zwischen verschiedenen, durchaus auch miteinander konfligierenden Rollen prädestiniert Jack Sparrow zum Trickster. Der ehemalige Piratenkapitän muss die Geschichten Barbossas und Will Turners sozusagen kapern, um seine eigene Geschichte in jenen sicheren Hafen zu steuern, der für ihn noch immer die offene See ist.
Ich komme damit zum Pfaffen Amis, der ebenfalls die Leben anderer Figuren kapert, um an sein Ziel zu gelangen. Der Vergleich mit Fluch der Karibik bietet die Gelegenheit, auf eine bestimmte Episode etwas näher einzugehen, in der nicht nur die Identität des Pfaffen selbst, sondern auch diejenige einer weiteren Figur zur Debatte steht.
Der Pfaffe Amis gibt sich hier als Mentor eines kahlen Maurers, dem er dabei helfen wolle, Bischof zu werden. In Wirklichkeit verfolgt der Pfaffe natürlich seinen eigenen Plan, der darin besteht, in der Rolle des Kaplans des angeblichen Bischofs einen Tuchhändler um seine Waren zu erleichtern.
Der Plan gelingt, und während der Pfaffe mit den noch unbezahlten Stoffen davonsegelt, muss der als Bürge beim Tuchhändler verbliebene „Bischof“ schwere Misshandlungen über sich ergehen lassen. Man kann spekulieren, ob der Pfaffe hier nicht auch symbolisch Rache an dem echten Bischof übt, der ihm am Anfang der Geschichte seine Kirche hatte wegnehmen wollen.
Ganz ähnlich wie in Fluch der Karibik hätte man dann drei Geschichten: eine wenn auch aufs Scheitern angelegte Aufstiegsgeschichte, eine Betrugsgeschichte und eine Rachegeschichte. Und selbst dann, wenn man die Existenz der Rachegeschichte in Abrede stellt, bleibt doch ein Trickster, der seine (angebliche) Mentorenrolle dazu nutzt, als Held in eigener Sache zu agieren.
Übrigens betont der Stricker ausdrücklich, der Pfaffe habe noch keinen konkreten Plan zur Gewinnung der kostbaren Stoffe gehabt, als er den kahlen Maurer erblickt habe (V. 1402-1405). Er nimmt damit die Antwort auf jene vieldiskutierte Frage vorweg, die Lieutenant Groves im dritten Teil der Filmreihe stellt: „Meint Ihr, er hat das alles so geplant, oder nimmt er es, wie es kommt?“.
Der Fluch der Karibik jedenfalls kann vorerst gelöst werden. Jack Sparrow kann Barbossa erschießen. Und der ehemalige Waffenschmied Will Turner, der jetzt den Piraten in sich entdeckt hat, bekommt trotz aller ständischen Grenzen – die ja bereits im Pfaffen Amis immer wieder trickreich überschritten werden – die Tochter des Kommandeurs, Elizabeth Swann.
„Also eigentlich finde ich das alles sehr hübsch. Wir sind doch alle irgendwie weitergekommen. Spirituell, dramatisch, menschlich“, bemerkt Jack Sparrow am Ende. Und Elizabeths Vater sinniert: „Vielleicht erfordert bei seltenen Gelegenheiten das Halten des richtigen Kurses einen Akt der Piraterie. Könnte die Piraterie selbst der richtige Kurs sein?“


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