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Über den Wolken

Der Pfaffe Amis und Frank Abagnale

  • justinvollmann
  • 27. Mai 2022
  • 3 Min. Lesezeit

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Der Spielberg-Film Catch Me If You Can von 2002 bietet Gelegenheit, den Pfaffen Amis einmal unter dem Aspekt der Hochstapelei zu betrachten. Aber wohin stapelt man im Mittelalter hoch? Schaut man auf die im 12./13. Jahrhundert sich formierende Pariser Universität, dann wird schnell klar: Die Philosophie mit ihren sieben freien Künsten bietet eher mittelmäßige Karrierechancen. Bleiben die höheren Fakultäten Jura, Medizin und Theologie. Und ansonsten? Gilt damals wie heute: „It’s the economy, stupid!“


Der Pfaffe Amis ist zwar nicht ausdrücklich als Jurist unterwegs, wohl aber schwingt er sich in seinen ersten beiden Rollen, als Gastprediger und als Maler, zum Tugendrichter auf, der mittels seiner Künste über eheliche Treue und eheliche Abkunft, juristisch hochrelevante Sachverhalte also, befindet. In der Rolle des Arztes täuscht er dann die Heilung einer ganzen Gruppe Kranker vor, um sich anschließend in der Rolle des Geistlichen, der er ja tatsächlich ist, durch eine Reihe angeblicher Wunder den Nimbus der Heiligkeit zu verschaffen.


All das tut er natürlich um des Geldes willen, das in Form von Spenden, Vorschüssen, Lohn und Ablasszahlungen reichlich fließt – nicht so reichlich freilich wie dort, wo es um nichts anderes geht als das, nämlich in der Wirtschaft. Sie heißt damals noch navigatio, also Schifffahrt, womit vor allem die Handelsschifffahrt und der Handel selbst gemeint sind, und zählt zu den sieben praktischen Künsten. In ihr betätigt sich der Pfaffe in den letzten beiden Episoden, indem er als reicher Kaufmann verkleidet nach Konstantinopel segelt, um dort große Summen zu ergaunern.


Was im Pfaffen Amis noch eng miteinander verknüpft ist, Schifffahrt und Handel nämlich, das tritt in Catch Me If You Can in Form von Luftfahrt und Finanzwirtschaft auseinander: In Letzterer reüssiert Frank Abagnale als Scheckfälscher, in Ersterer als angeblicher Co-Pilot, als welcher er nicht nur jede Menge Flugmeilen einheimsen, sondern auch die selbstgefälschten Gehaltsschecks problemlos einlösen kann. Ähnlich wie der Pfaffe Amis betätigt sich Frank Abagnale außerdem als Oberarzt und Rechtsanwalt. Nur von der heute nicht mehr ganz so lukrativen Theologie lässt er die Finger. Woher trotz allem die Gemeinsamkeiten?


Als höchstes Gut – Gott einmal ausgenommen – dürfte damals wie heute die Trias aus gesellschaftlicher, körperlicher und seelischer Integrität erschienen sein, im Mittelalter noch ermöglicht durch Juristen, Ärzte und Geistliche, in der Moderne zunehmend nur noch durch Juristen und Ärzte, die das Seelenheil gleich mit übernehmen. Ermöglicht allerdings bevorzugt für den großen Geldbeutel, weshalb sich auch der Kaufmann und der Banker mit hinzugesellen. Und genau dieser Wunsch nach Integrität – in ihren sozialen, physiologischen und psychologischen Dimensionen – ist es, den sich der Hochstapler damals wie heute zunutze macht.


Ein Wort noch zu den Vätern. Für Frank Abagnale ist der seine eine wichtige Figur: Von ihm hat er seinen ersten Scheck ausgestellt bekommen, ihn will er an seinem Reichtum teilhaben lassen, über seinen Tod ist er schwer erschüttert. Die Trennung seiner Eltern hat den damals 17-Jährigen überhaupt erst zum Scheckbetrüger werden lassen, immer wieder hat er von einer Versöhnung der Eltern geträumt, das neue Familienglück der Mutter ist ihm ein Graus. Eine Art Ersatzvater findet er in FBI-Agent Carl Hanratty, der den genialen Betrüger nach dessen Verhaftung für sich arbeiten und zum gefragten Experten aufsteigen lässt.


Über die Eltern des Pfaffen Amis erfahren wir nichts, doch die letzte Episode ist bemerkenswert. Der Pfaffe überlässt den von ihm betrogenen und überwältigten Edelsteinhändler, den er als seinen wahnsinnig gewordenen Vater ausgibt, der Obhut eines wenig zimperlichen Arztes, der seinen Patienten nach allen Regeln der ärztlichen Heilkunst fast zu Tode malträtiert – ähnlich wie der als Arzt verkleidete Pfaffe selbst einst gedroht hatte, den kränksten seiner Patienten umzubringen, um die übrigen mit dessen Blut zu heilen.


Ein inszenierter Vatermord? Auffällig bleibt jedenfalls – gerade vor dem Hintergrund von Catch Me If You Can – die Herbeizitierung des eigenen Vaters ausgerechnet in der letzten Episode. Und wie Frank Abagnale findet auch der Pfaffe Amis einen Ersatzvater: zunächst einmal im Abt des Klosters, in dessen Dienst er sein Vermögen und auch seine Fähigkeiten stellt; dann in Gottvater, in dessen Reich er, nach dem Tod des alten Abtes selbst zum neuen Abt gewählt, zu guter Letzt gelangt. Höher kann man auch im Mittelalter nicht aufsteigen.

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