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Über den Wolken

Achte Sitzung: Wartburg Battle

  • justinvollmann
  • 10. Dez. 2021
  • 3 Min. Lesezeit

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Diesmal ging es um die Frage, inwieweit höfisches Singen und moderner Hiphop als „Wettkampfkulturen“ (Gebert 2019, dort allerdings auf mittelalterliche Epik bezogen) miteinander vergleichbar sind. Im Gegensatz zur letzten Sitzung ging es also weniger um den Aspekt der Authentizität als um denjenigen der Agonalität, und als mittelalterlicher Vergleichspunkt diente nicht der Minnesang, sondern die andere große Gattung mittelhochdeutscher Lyrik, der Sangspruch (meist didaktischer Natur, aber z.B. auch Herrscherlob).


Der Einstieg erfolgte über das Rap-Gedicht Der flammende Ring aus dem Soloalbum Blauer Samt (2000) des „Urvaters“ des deutschen Hiphop und Mitbegründers der Band Advanced Chemistry (1987), des gebürtigen Heidelbergers Frederik Hahn alias Torch:

Als Projektionsfläche dient hier ganz explizit das Mittelalter, wobei Torch sich selbst als Minnesänger bzw. König Artus und den Battle-Rap als Zweikampf stilisiert. Typisch ist die Verwendung von Kampfmetaphern für das Rappen, so etwa in dem von Würtemberger 2009 zum Titel ihrer Monographie erhobenen Vers „Im Textturnier wurde keiner meiner Gegner alt“. Gleichzeitig gehen gerade die brutalsten Partien dieses metaphorischen Zweikampfs mit einer selbstbewusst zur Schau gestellten Reimartistik einher („dem Gegner frech Arm und Bein sowie Charme und Reim entführt“).


Ganz ähnliche Kampfmetaphern begegnen bereits im Fürstenlob des Wartburgkriegs, einer im 13. Jahrhundert entstandenen Sammlung von Sangspruchstrophen, die um einen fiktiven Sängerwettstreit auf der Wartburg unter den Augen des Landgrafen Hermann I. von Thüringen (1155-1217), eines großen Förderers der mhd. Literatur, kreisen. Heinrich von Ofterdingen, der für den Fürsten von Österreich eintritt, betritt den Kampfplatz und fordert die anderen Sänger zum Zweikampf heraus (Str. 1). Walther und der Tugendhafte Schreiber, die für Hermann von Thüringen eintreten, kontern mit Fechthieben (Str. 2) bzw. treten Heinrich kampfbegierig entgegen (Str. 3). Als Kampfrichter werden Reinmar von Zweter und Wolfram von Eschenbach eingesetzt (Str. 4). Der Verlierer soll – nun wohl nicht mehr metaphorisch – wie ein Dieb gefangengesetzt (Str. 1) und erhängt (Str. 2) bzw. enthauptet (Str. 8) werden – eine Strafe, die man dem unterlegenen Heinrich von Oferdingen am Ende dann allerdings auf Betreiben der Landgräfin erlässt (Str. 24).


Interessant ist die Art und Weise, wie Walther den Sieg über Heinrich davonträgt. Er lockt ihn nämlich in die „Metaphernfalle“, indem er ihn den Fürsten von Österreich mit der Sonne gleichsetzen lässt, um dann seinerseits den Landgrafen Hermann von Thüringen mit dem Tag gleichzusetzen, der – wohl im Anschluss an den Schöpfungsbericht – noch über die Sonne zu stellen sei. Deutlich wird hier, wie das „mimetische“ Prinzip (die Qualität des Lobs spiegelt die Qualität des Gelobten wider) in ein „poietisches“ Prinzip (die – wenn auch hier auf einem bloßen Trick basierende – Qualität des Lobs entscheidet allererst über die Qualität des Gelobten) umschlägt (vgl. Vollmann 2019, S. 245, im Anschluss an Hübner 2000). Ähnliches ist im Battle-Rap zu beobachten, wo letztlich nicht nur der Wahrheitsgehalt, sondern vor allem auch die Virtuosität des Boastens und Dissens über Sieg und Niederlage der Kontrahenten entscheidet.


Man könnte einwenden, der Sängerwettstreit des Fürstenlobs sei ja nur fiktiv. Genauso wie Der flammende Ring auf die Wirklichkeit des Battle-Raps reflektiert, ohne selbst Battle-Rap zu sein, dürften sich aber auch im Fürstenlob die agonalen Strukturen realen höfischen Singens widerspiegeln. Weiter könnte man einwenden, die Agonalität des Fürstenlobs halte sich in engen Grenzen im Vergleich zu den sehr viel direkteren Attacken, wie sie im Battle-Rap geritten werden. Dass indessen auch im Sangspruch einiges möglich ist, zeigt ein Blick auf die von Würtemberger 2009 angeführten Beispiele (vgl. etwa S. 91 zu Arsch und Mond).


Nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Authentizität, auch unter demjenigen einer spezifischen Agonalität, die – anders als z.B. die Literaturwettbewerbe der „Gutenberg-Galaxis“ – eng an die körperliche Präsenz der Kontrahenten bzw. ihre mediale Vermittlung geknüpft ist, sind also deutliche Gemeinsamkeiten zwischen höfischem Singen und modernem Hiphop zu konstatieren.


Literatur

  • Gebert, Bent: Wettkampfkulturen. Erzählformen der Pluralisierung in der deutschen Literatur des Mittelalters, Tübingen 2019.

  • Hallmann, Jan: Studien zum mittelhochdeutschen Wartburgkrieg. Literaturgeschichtliche Stellung – Überlieferung – Rezeptionssgeschichte. Mit einer Edition der Wartburgkrieg-Texte, Berlin, Boston 2015, S. 515-553 (Edition des Fürstenlobs).

  • Hübner, Gert: Lobblumen. Studien zur Genese und Funktion der ‚Geblümten Rede‘, Tübingen, Basel 2000.

  • Torch: Der flammende Ring: https://genius.com/Torch-der-flammende-ring-lyrics (Zugriff am 10. 12. 2021).

  • Vollmann, Justin: Präsente Präsente. Zu einer mittelalterlichen Poetologie der Gabe am Beispiel des Marienlobs, in: Ästhetische Reflexionsfiguren in der Vormoderne, hg. v. Annette Gerok-Reiter u.a., Heidelberg 2019, S. 241-270, hier S. 243-246 (zur Gattung des Fürstenlobs).

  • Würtemberger, Sonja: „Im Text-Turnier wurde keiner meiner Gegner alt“. Sängerstreit in Sangspruch und Sprechgesang, Diss. Stuttgart 2009, Online-Ressource: http://dx.doi.org/10.18419/opus-5323 (Zugriff am 10. 12. 2021)

  • Würtemberger, Sonja: Sängerstreit als Streit der Form, in: Streitkulturen. Polemische und antagonistische Konstellationen in Geschichte und Gegenwart, hg. v. Gunther Gebhard u.a., Bielefeld 2008, S. 125-140.

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